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Dream City


Die Perspektiven sozial engagierter Kunst hinsichtlich der Bedingungen, die es ihr erlauben würden, ihr kritisches Potential auf breiter Basis und in komplexen Bezügen zur Geltung zu bringen, wurden in der letzten Zeit immer ungewisser. Aus machtpolitischen Gründen forcierte Tendenzen zur massenmedialen Verwöhnung mit leicht konsumierbaren Sensationen und die zunehmende Verengung individueller Horizonte auf das Optimieren von Lifestyle-Profilen drohen jeden Widerstand gegen den Verfall gesellschaftlicher Solidarität nicht nur zu lähmen, sondern auch mit einem Bann zu belegen. Als Symptom im öffentlichen Raum kann dafür spekulative Privatisierung und die mit ihr verbundenen Formen von Kontrolle und Homogenisierung genommen werden, die die Unterordnung kultureller Ansprüche unter die Erfordernisse ökonomischer Verwertung implizieren. Auch in den verbleibenden Refugien kultureller Exklusivität, läßt sich, wie etwa am Phänomen der Festivalisierung von Kultur, als Folge hermetischer Isolation ein korrespondierender Niveauverlust beobachten. Freilich werden Ansätze, die dem Diktat der hierfür verantwortlichen Mechanismen entgegenarbeiten, dabei nicht wirklich durch ihre angepaßten Varianten ersetzt, sondern nur in subkulturelle Randbereiche abgedrängt und behindert. Vor diesem Hintergrund weckt ein größeres Ausstellungsprojekt zum Thema heutiger urbaner Problematik ein virulentes Interesse.
Die für München ungewöhnliche Dimension einer Ausstellung, die mehrere Institutionen sowie größere Installationen im öffentlichen Raum umfaßt, war möglich aufgrund einer Initiative des Siemens Kulturprogramms, dem mit den drei anderen beteiligten Institutionen die Erarbeitung eines gemeinsam verantworteten konzeptuellen Rahmens gelungen ist, wobei Siemens die Hälfte der Gesamtkosten trägt. Das unter dem Titel „Dream City” realisierte Projekt läßt den Anspruch erkennen, die sozialkritische und im urbanen Kontext intervenierende Kunst als historisch und praktisch bedeutsame Strömung zu re-etablieren.
Schon bei der Teilnahme von Joseph Beuys, als der großen Leitfigur einer Kunstform, die sich über die Grenzen des Kulturbetriebs hinaus durch radikale Einmischung ins menschenverachtende Geschehen bemerkbar macht, blieb jedoch der effektive Beitrag in einem kleinen Nebenraum auf das oberflächliche Zitat beschränkt, und entsprach damit allzu sinnfällig der heute unproblematischen Integrierbarkeit seiner Werke in den Kanon schöner Bildungsgüter. Mit Gustav Metzger hingegen wurde ein Veteran der Nachkriegsavantgarde wieder dem medialen Schweigen entrissen, dessen Radikalität durch die geschlossene Abwehrhaltung, mit der sie damals beantwortet wurde, nicht gerade entschärft worden sein dürfte. Seine Interventionen zielen kompromißlos auf die Wunden, die die nationalsozialistische Vergangenheit im deutschen Traum von idealer Größe hinterlassen hat, und die mangels wirklicher Verarbeitung nicht zuletzt mit Kunstwerken immer gründlicher verdeckt zu werden pflegen. An einem für diese Logik symptomatischen Ort, dem ”Haus der (deutschen) Kunst”, ließ er eine größere Fläche unter den übermenschlich proportionierten Säulen an der Vorderseite mit einer Asphaltschicht überziehen, und gab dem den Titel ”Travertin/Judenpech”. Mit einer weiteren Arbeit im Kunstverein München, und damit an dem historischen Ort der Ausstellung ”Entartete Kunst”, bezieht er sich unmißverständlich auf jene Traumata, und die anhaltende Unfähigkeit zu verändern, woraus sie entstanden sind.
Was Beuys und Metzger verbindet, und in der sarkastischen Verwendung eines Werbeslogans als Ausstellungstitel signalisiert wird, ist die kritische Thematisierung sozialer Verhältnisse mit den Mitteln der Kunst. Allerdings kann dabei nicht von einem einheitlichen und überschaubaren Gegenstand ausgegangen werden. Die Herausforderung der Kunst kann also nicht allein durch Enthüllungen beantwortet werden, sondern besteht darin, Konfliktfelder oder latente Beunruhigungen auszunützen und davon ausgehend aufklärende, irritierende oder intensive Ausdrucksformen zu erzeugen.
Gülsün Karamustafa greift das Problem heraus, daß zwischen türkischen und nicht-türkischen BewohnerInnen deutscher Städte kommunikative Blockaden von den permanenten Revolutionen der Kommunikationstechnologie unberührt bleiben. Die von ihr gesammelten und auf Schildern im Stadtraum plazierten Bilder türkischer und bayerischer Identitätssymbole bestätigen die Furcht vor Vermischung auf der Ebene kultureller Symbole. AA Bronson läßt in analoger Intention ein kurz nach dessen Tod aufgenommenes Bild seines Freundes Felix Partz mehrfach plakatieren. Hier ist es die Krankheit AIDS, die zum Ausschluß einer sozialen Gruppe geführt hat. Er setzt damit eine Strategie fort, in deren Rahmen die Künstlergruppe General Idea, dessen Mitglied Bronson und seine beiden, inzwischen toten Freunde waren, seit längerem mit viel Raffinement versucht hatten, in den Kunstdiskurs soziale Konfliktstoffe einzuschleusen.
Auch Michaela Meliáns Arbeiten lassen sich zu der Linie zählen, die von Gustav Metzger vorgezeichnet ist. Es handelt sich um aufblasbare Attrappen von Wohncontainern. Bekanntermaßen zur Unterbringung von Asylbewerbern benutzt, sollen sie nun an ausgewählten Orten den konsumfreundlichen Schein von privilegierter Exklusivität stören, dem Innenstadtzonen zunehmend unterworfen werden.
Funktioneller Bestandteil einer solcherart orientierten Imageproduktion sind heute nicht zuletzt die Kunstinstiutionen. Stefan Römer geht deshalb die Einrichtung des ”white cube” selbst an und nutzt eine Installation im Kunstverein dazu, die Beziehung zwischen politischen Kämpfen und ästhetisch restaurativen Tendenzen zu beleuchten, wozu ihm Fotodokumente und eine theoretische Abhandlung dienen. Yvonne P. Doderers zur Ausstellung herausgegebener Reader ”Never Give Up” erweitert diese Sicht um den Aspekt feministischer Politik, wobei die museale Institution aus dem Blickwinkel der sie umgebenden Subkultur betrachtet wird. Auch Felix Gonzales-Torres wirft die Frage nach der strukturellen Logik des musealen Raums durch Kontrastierung mit einem ihm fremden Element auf: in der ansonsten auf diskreten Stil bedachten Stuckvilla, tritt täglich ein Go-Go-Tänzer auf, und bricht den Bann einer sublimen Atmosphäre durch die offene Zurschaustellung homoerotischen Begehrens, um ebenso unvermittelt, wie er gekommen ist, wieder zu verschwinden.
Das Phänomen kontrollierter und normalisierter Felder bezieht seine Virulenz aber primär aus anderen Quellen. Thomas Schüttes Installation ”Piazza Uno” versucht mit seiner Inszenierung als Modell den Archetyp einer paranoischen Kontrollarchitektur in den Blick zu bekommen, und scheint seine Verankerung in unseren Köpfen mit ironischer Skepsis unterwandern zu wollen. Olaf Metzel zeigt zwar seine Intervention in einer Berliner Altbauwohnung, die er 1982 anmietete und einem radikalen anarchischen Impuls überließ, im Format 1:1, aber nur als Fotografie, die einen – wenn auch inhaltlich aktuellen – Affekt mit dem Nimbus mythischer Verklärung überlagert.
Weniger emotional, und auf einer abstrakteren Linie bewegt sich die Installation von Michael Clegg & Martin Guttmann im Alten Botanischen Garten, einem kleinen Park in zentraler Lage. Vier um den großen Brunnen verteilte Strommasten dienen absurderweise dazu, Strom zu leiten, der auf der einen Seite aus der Erde kommt, und auf der anderen wieder dorthin verschwindet. In ihrer starren Funktionalität erinnern sie an die Abhängigkeit des städtischen Komforts von technischen Apparaten, deren dauerhafter Einsatz mit Risiken verbunden ist. Allerdings kommt auch hier eine dandyhafte Note subtiler Ironie ins Spiel. Ähnlich ist ein als Modell gezeigtes Projekt von Vito Acconci zu verstehen, bei dem ein Stück einer Parkanlage wie ein Karussell in Bewegung kommen soll, und so die Gewißheiten solider Bodenhaftung am geheiligten Punkt simulierter Natur unterminiert.
Das daraus entspringende Bewußtsein, in einem System zu leben, das seine Umwelt überfordert, läßt sich wieder auf vielerlei Arten verarbeiten. Das Spektrum reicht etwa vom professionellen Konsumententum, wie es ein weit herumgekommener Franz Ackermann praktiziert. In seine spektakuläre Rauminstallation im Kunstverein hat er unzählige Reiseprospekte, vergrößerte Werbefotos und Schnappschüsse zum Thema implementiert und durch ein geometrisches buntes Panoramagemälde mit dem dekorativen Charme der 70er Jahre ausgestattet. Daß es sich diese Art von Affirmation nicht nehmen läßt, auch kritische Platitüden auszuschlachten, könnte auch für Peter Friedls Beitrag gelten. Ohne auf das Thema ”Stadt” weiter einzugehen, übernimmt er die Konzeption aller Druckerzeugnisse der Ausstellung, die er weitgehend den Normvorgaben des Siemens-Konzerns angleicht, der unter dem Verdacht steht, die Kunst nur zu instrumentalisieren. Dennoch lassen sich gestalterische Freiheiten nicht vermeiden, so daß alle Beteiligten mit ihrer Leistung plus kritischer Note wieder zufrieden sein können. Plamen Denjanov & Svetlana Heger gehen noch einen Schritt weiter, und verkaufen die Stelle, die im Kunstsystem für eine künstlerische Strategie freigehalten wird, dem Autohersteller BMW für einen damit kulturell aufgewerteten Messestand. Ihrer Ansicht nach ist offenbar die Differenz von Kunst und Marketing nicht mehr zu retten.
Deutlich mehr Distanz zu den symbolischen Zentren der Macht nehmen die KünstlerInnen ein, die den Stadtraum nach Alternativen zur normalisierten Ordnung absuchen. Resträume sollen dabei nicht nur für den Gebrauch erschlossen, sondern auch über das Herstellen von Verbindungen neu konstruiert werden. So beschränkt sich Stephen Craig nicht darauf, für das Gelände um den Schuttberg beim Münchner Olympiastadion einen zweckfreien Pavillon zu projektieren, sondern er bestimmt auch die Gründe für die Wahl des Ortes (die Bedeutung des Kriegsschutts) und die architektonische Form (als Anknüpfung an die noch fruchtbaren Ideale von Öffentlichkeit der 50er Jahre). Stefan Kern konnte sein Baumhaus in einem kleinen öffentlichen Garten in der Innenstadt zur Ausstellung inzwischen realisieren. Auch er referiert in Details auf die 50er Jahre, entwickelt jedoch den Grundriß seines an einem Baum befestigten Plateaus aus dessen gewachsener Form. So entstand hier ein Ort zum freien Gebrauch in einem äußerst heterogenen Stadtviertel. Hans-Peter Feldmann machte einen schon als Soziotop fungierenden Ort, eine Art Tempelchen im Hofgarten ausfindig, und postierte dort den Abguß einer griechischen Plastik, die allerdings im Unterschied zur klassischen Präsentation bunt bemalt ist. Die Grenzen von Kitsch und hoher Kunst werden damit verwischt, und dem Genuß von Personen, die noch keine Bildungsreisen absolviert haben, steht damit nichts mehr im Wege. Und auf der Ebene der Dingwelt, mit der zunehmend rigoroser verfahren wird, demonstriert Dan Peterman in einem feuchtwarmen Gewächshausklima, daß auch Sperrmüll noch voller organischem Leben zu sein pflegt.
Kritische Beobachtung ist die Form, die Martha Rosler gewählt hat, um sich mit der real existierenden Welt der Verkehrssysteme auseinanderzusetzen. In einer symmetrischen Diaprojektion lassen sich zwei Transportwelten miteinander vergleichen: Flughäfen und U-Bahnen. Daß hier Klassenunterschiede erkennbar werden, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie wenig Gestaltungsspielraum für die Passagiere in beiden Welten bleibt. Tiefer in die Logik städtischer Strukturen und ihre subtilen Machtmechanismen versucht Pia Lanzinger mit einer mobilen Multimediainstallation einzudringen. Während einer Busfahrt wird den Fahrgästen statt dem Blick durchs Fenster ein mit Videoprogramm, Bilddokumenten und Musik ausgestattetes Ambiente geboten. An den Stationen mit verschiedenen Milieus überraschend konfrontiert, kann so der Blick für die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Raumorganisation sensibilisiert werden.
Dagegen erinnern die Panoramaprojektionen von mehr oder weniger spontanen Versammlungen kleiner Gruppen im öffentlichen Raum, die Daniel Knorr realisiert hat, vor allem an das Bedürfnis nach körperlicher Gegenwart anderer, die durch ihren simulativen Ersatz zunehmend entwertet wird.
So sehr der Anspruch des Unternehmens zu würdigen ist, eine wesentliche Fragestellung der Avantgarde erneut aufzugreifen und in einem breit angelegten Feld auf den aktuellen Stand zu bringen, so sehr muß konstatiert werden, daß sich schließlich die in allzuvielen Hinsichten divergierenden Ansätze gegenseitig nivellieren. Sicherlich war es in einer Stadt wie München besonders schwer mit der Herausforderung, die die Idee der situativen ästhetischen Intervention inzwischen darstellt, auf nennenswerte Resonanz zu stoßen. Um so mehr wäre es die Aufgabe des Kuratoriums gewesen, ein stringenteres Konzept zu entwickeln. In der realisierten Form bewegt es sich nahe an der Grenze zu jenen konturlosen Überblicksausstellungen, die das Thema ohne weitere Debatte als abgehakt erscheinen lassen. Eine Transformation des Bildes, das für unser Leben in der Stadt ein geschärfteres Gegenwartsbewußtsein oder zukunftstauglichere Orientierungsmaßstäbe zu erzeugen vermocht hätte, als es die vagen Visionen und Utopien der Normalität bieten, ist dabei, wie gewöhnlich nur am Rande vorgekommen.


Katalog: 280 Seiten, über 200 s/w und Farbabbildungen, DM 38,- in der Ausstellung, DM 68,- im Buchhandel. Mit Textbeiträgen u.a. von Richard Sennett, Stella Rollig, Dirk Luckow, Stefan Römer sowie der Dokumentation der Ausstellungsprojekte

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Michael Hauffen

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