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Marylin Willis - audiovisuelle Installation


Wenn ein Bunker als Ort der Präsentation von Kunst ausgewählt wird, dann zeichnet sich die Situation nicht gerade durch das aus, was als „Offenheit” hervorgehoben zu werden pflegt. Begriffe, die sich wie dieser als Marker für Normalität etabliert haben, und dazu tendieren, eine Sachlage mehr zu beschwören als zu beschreiben, kommunizieren nichts anderes als eben die Normalität selbst, und tragen daher in erster Linie zur allgemeinen Abstumpfung bei. Da aber nun Kunst davon lebt, derartige Formen der Abdichtung gegen alles, was Konflikt, Anomalie oder Problem sein könnte, auf symbolischer Ebene zu unterminieren, kann die durch einen Bunker gegebene Abweichung von der musealen Norm durchaus eine gute Ausgangsposition darstellen. Gelegenheit, die damit implizierten kunststrategischen Möglichkeiten zu sondieren, bietet die audiovisuelle Installation „6 x 2” von Marylin Willis, die in einem der noch existierenden Hochbunker im Stadtgebiet Münchens zu sehen ist.
Bereits außen an der Eingangstür kündigt sich die Arbeit durch eine sonore Quelle an. In mehrfacher Überlagerung von Stimmen vermittelt diese die Resonanzeigenschaften des verschachtelten Innenraums, der sich hinter der 19,10 Meter hohen Betonwand verbirgt. Artikuliert werden dabei ausschließlich Reihen von Zahlwörtern. In seiner Zurückgenommenheit ist dies auch ein Kommentar zur Bunkerfassade, die sich dadurch auszeichnet, die ursprüngliche Funktion des Gebäudes zu verleugnen oder sogar unsichtbar zu machen. Sein klassizistisches Dekor und der freundliche Anstrich rücken es optisch in die Nähe einer riesenhaften Antiquität. Und auch wenn die Fensterlosigkeit der massiven Wände nicht zu übersehen ist, wirkt das nicht unbedingt verstörend, hat man sich doch heute an das Vorkommen bunkerartiger Warenhäuser, Schaltzentralen und Museen weitgehend gewöhnt.
Der historische und politische Kontext, im dem das Gebäude steht, wird dadurch mehr oder weniger in sein Inneres zurückgedrängt. Marylin Willis setzt daher mit ihrer Arbeit vor allem in diesem Innenraum an.
Hinter den Betonmauern von 1,10 Metern Dicke findet man sich optisch und akustisch vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, und diesen Umstand betont Willis, indem sie den architektonischen Gegebenheiten so gut wie nichts hinzufügt, sondern sie lediglich aufmerksam registriert. Kanten und Ecken des auf jeder Etage befindlichen Hauptraumes, dessen Wand-, Decken- und Bodenflächen weiß gestrichen sind, werden durch phosphoreszierende Linien nachgezeichnet, und zwar von Stockwerk zu Stockwerk in immer reduzierterer Form. Die Installation beginnt im 1. Stock mit der Hervorhebung aller waagrechten und senkrechten Linien. Die Stockwerke 2 bis 4 zeigen in aufsteigender Reihenfolge waagrechte, senkrechte und diagonale Linien (jeweils von rechts unten nach links oben). Im 5. Stock sind schließlich nur noch die Eckpunkte markiert. In all diesen 5 Stockwerken wird die Neonbeleuchtung in einem Rhythmus von 3 Minuten an- und abgeschaltet, so daß abwechselnd die nackten Wände und die im Dunkeln nachleuchtenden Linien bzw. Punkte zu sehen sind. Dazu ist aus den jeweiligen Nebenräumen eine audiophone Stimme zu hören, die eine ununterbrochene Reihe von Zahlen rezitiert. Aus dem Leporello, der zur Installation herausgegeben wurde, erfährt man, daß sich die Zahlen auf die Raummaße beziehen, die von Stockwerk zu Stockwerk wegen verschiedener Aufteilungen der Grundrisse in den Nebenräumen variieren.
Das folgende und letzte 6. Stockwerk bildet den kontrastierenden Abschluß: Hier sind sämtliche Wände schwarz und nur an einer Stelle findet sich als einzige Lichtquelle auf dem Boden ein hell leuchtendes Phosphorquadrat. Als akustisches Element in diesem Stockwerk fungiert ein tieferer Sinuston.
Was auf diese Weise zur Wahrnehmung gebracht wird, ist die konkrete Gegebenheit einer Serie übereinanderliegender Räume, die eine Art Minimalwelt darstellen. Paul Virilio spricht angesichts der kriegstechnischen Bedeutung der Bunkerarchitektur von „Überlebensmaschinen” und charakterisiert so den angestrengten Versuch inmitten einer potentiell feindlichen Umgebung einen Überlebensraum als autonome Sphäre zu konstruieren. Dessen Dimensionen sind hier im Gegensatz zur Vielfalt und Weite der umfassenden Welt genau sicht- und meßbar. Daraus resultiert eine Gewißheit, die subjektive Möglichkeiten der Welterschließung bestätigt, und die moderne Grundlage gegenüber paralysierenden Ungeheuerlichkeiten und täuschenden Trugbildern darstellt. Aber davon ausgehend ist auch klar, daß die damit gegebene Möglichkeit der Selbstvergewisserung auf Voraussetzungen angewiesen ist, die sich ihrer Beobachtung entziehen – so wie im Ernstfall die 400 Bunkerinsassen praktisch vom kriegerischen Geschehen abgeschnitten waren, dessen Ausgang über ihr Schicksal entscheiden würde.
Der Bunker stellt gewissermaßen den Extremfall einer räumlichen Abgrenzung dar, und ist als solcher heute, im Zeitalter von Television und Simulation, in mehrfacher Hinsicht überholt. An diese aktuellere Situation kann man sich angesichts der von Willis im obersten Stockwerk realisierten Inszenierung erinnert fühlen, wenn die leuchtende Fläche als großer Bildschirm erscheint, der wie von einem weit oben befindlichen Ort den Überblick über das darunter liegende Territorium ermöglicht, wozu der Sinuston mit seinen im Raum erzeugten Resonanzschwingungen die nötige Abgehobenheit in einem Flugobjekt suggeriert.
Der Umgang mit den Mitteln des Minimalismus nähert sich dem technischen Minimalismus einer Architektur, die auf reine Überlebenssicherung reduziert ist. Durch diese Form der nüchternen Wiederholung wird die letztliche Ausweglosigkeit einer Idee von Selbsterhaltung, die auf radikale Abschließung hinausläuft, umso deutlicher. Es handelt sich also bei der Arbeit von Marylin Willis um ein Plädoyer für Offenheit, das nicht mit den Klischees von positivem Denken und der offensiven Wahrnehmung unmittelbarer Vorteile konform geht, sondern deren tiefere Grundlagen erfaßt und problematisiert. Daß dies in einer Form geschieht, die nichts Schwerfälliges oder moralisch Überhebliches an sich hat, bezeugt die Möglichkeit einer Selbstbegrenzung anderer Art, und den Optimismus einer Art fröhlicher Wissenschaft. Allerdings wird das davon getragene Bewußtsein souveräner Offenheit auch die relative Außenseiterposition kompensieren müssen, die jede Art von Distanz zur globalen Logik der Überbietung impliziert.

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Michael Hauffen

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