Rüdiger Schöttle11. September bis 30. Oktober 1999
erschienen 1999 in KUNSTFORUM
Eines der wesentlichen Kennzeichen unserer Epoche dürfte sein, dass die Unterstellung gesellschaftsübergreifend gültiger Beschreibungen zunehmend zweifelhaft geworden ist. Im Kontext der Kunst betrifft das vor allem die Logik der Repräsentation, die das Potential der Heterogenität möglicher Ansichten durch Normierung einschränkt. James Colemans Werk kann als der Versuch interpretiert werden, die dabei wirksamen Strukturen im Horizont konzeptueller und anderer postminimalistischer Strategien zu unterlaufen, indem er an ihre Grenzen rührt. Seine Arbeit „Slide Piece” (1973), projiziert in laufender Wiederholung immer das gleiche Dia, und gibt dazu die Situationsbeschreibungen verschiedener Personen der Reihe nach über Lautsprecher zu hören. Der Differenz der Ansichten steht nun ein Bild gegenüber, das zugleich Alles und Nichts zeigt. Es ist nicht mehr als Zeichen mit erkennbarer Bedeutung zu lesen, sondern verschwimmt in seiner Eigenschaft als Medium vielfältiger Kontexte. Woran man sich nun noch halten kann, sind allein die BeobachterInnen und ihre Beobachtungen. Beobachtungen basieren auf Unterscheidungen, die sich immer auch durch einen blinden Fleck auszeichnen. Wenn man etwas unterscheidet, so wie die Beobachter in dem ihnen gezeigten Bild, kann man nicht gleichzeitig sehen, was man dabei ausblendet, weil das nur aufgrund anderer Unterscheidungen sichtbar würde. Nimmt man diese Eigenschaft ernst, dann lösen sich Weltbilder in kontingente Fokussierungen auf, und erzeugen unkontrollierbare Zonen der Unbestimmbarkeit. Manche Kulturschaffende, die sich mit dieser Situation konfrontiert sehen, versuchen daraufhin, Bestimmbarkeiten und Gewissheiten wieder herzustellen. Colemans Entscheidung fällt konträr aus. Schon „Slide Piece” lässt sich als ironischer Kommentar in der Form eines Kunstwerks auffassen, und knüpft damit interessanterweise an die Tradition der deutschen Romantik an. Diese lässt sich als Versuch auffassen, das Unkommunizierbare jeder Kommunikation zu kommunizieren. Neben Ironie und Kritik hatte sie dazu noch ein drittes Mittel entwickelt, den „Witz der Mystik”, der sich durch gezielten Einsatz des Phantastischen, Unheimlichen und Grauenhaften auszeichnete. In der Arbeit „La tache aveugle” (Der blinde Fleck, 1978) scheint sich Coleman genau auf diese Technik zu konzentrieren, wenn er die Präsenz des unsichtbaren Mannes aus einem Gothic-Horror-Movie (The Invisible Man, 1933) über die unendlich langsame Vorführung einiger daraus entnommener Einzelbilder ins Zentrum einer „unmöglichen” Beobachtung stellt. Colemans Œuvre thematisiert die Logik des blinden Flecks, ohne ihn durch Paradoxieverbote auszuschließen. Die Komplikation besteht dann darin, die Paradoxie der Heterogenität so vorzuführen, dass sie unterscheidbar und nachvollziehbar ist, ohne über die resultierenden Meinungen der BeobachterInnen wieder Herrschaft auszuüben. Eine der Antworten der Romantik war: bewusste Erzeugung von Unverständlichkeit. Die Arbeit Lapsus Exposure (Falsche Belichtung, 1992-94) stellt ein verwandtes Projekt dar. Die Tradition der Selbstreflexion von Kunst wird aufgegriffen und weitergetrieben, um sich gegen die Dominanz einer Kultur der homogenen Normalität und des Spektakels zu wenden. Es handelt sich um eine 14-minütige Diaprojektion in Überblendtechnik, die mit einer Sprechstimme aus dem Off kombiniert ist. Die Dias geben Einblicke in das geschlossene System eines Studios, das der Produktion repräsentativer Bilder der Kultur zu dienen scheint (es könnte um Mode- oder vielleicht um Filmaufnahmen gehen) – andererseits aber an historische Positionen der Malerei anschließt, auf deren Inszenierung von Bühnenelementen, Vorhängen, Kulissenarrangements, Stativen und Staffeleien als Kontext dargestellter Szenen das hier gezeigte Ensemble von Leitern, Stellwänden, Requisiten und Kostümen visuell anspielt. Wo AkteurInnen ins Blickfeld geraten, bleiben ihre Intentionen ebenso unbestimmt wie ihre Funktionen. Zwar kann man zwischen DarstellerInnen und AssistenInnen zumeist unterscheiden, aber auch dann bleiben deren Bezüge untereinander rätselhaft in dem Maß, wie der eigentliche Handlungsrahmen fehlt. Der Blick könnte das Geschehen im Moment einer Unterbrechung erfassen, oder sich durch den illusionären Bruch mit der Realität konstituieren, der der Laune des Subjekts hinter der Kamera entspringt – was hier der Fall ist, bleibt unentscheidbar. Und gerade weil die Figuren auf triviale Muster verweisen, fällt dann auf, dass sie sich von deren Klischees unterscheiden, sie bleiben ihren Rollen und ihrer Umgebung fremd. Die Zeit scheint stehenzubleiben, und gibt einen tiefen imaginären Möglichkeitsraum frei, demgegenüber die Zeichen sozialer Zuordnungen wie die Regeln eines Spiels erscheinen, das gerade erst richtig anfängt.Ohne die (weibliche) Stimme aus dem Off könnte man die Szenen vielleicht auch nüchterner sehen, und womöglich sogar eine ganz normale Geschichte hineinprojizieren. Durch den poetischen und fragmentarischen Text, den sie vorträgt, entfaltet das Moment des Geheimnisvollen jedoch seine volle Wirkung. Und über den Text hinaus, der offenbar ebenfalls aus trivialen Fundstücken in strategischer Durchkreuzung stabiler Eindeutigkeiten montiert ist, zeichnet sich der Vortrag durch den Einsatz theatralischer Effekte aus, die in der Beschwörung eines Unausgesprochenen, weil Unaussprechlichen zusammenlaufen. Erwähnt wird ein nicht zuordenbarer Name, an den sich ein Wunsch adressiert, sowie ein unsichtbares Wesen, das sich im Raum aufzuhalten scheint („Why have you come, creeping through the dark...”), und die Stimme bricht schließlich immer öfter ab um die Situation ihrem Schweigen und der Stille zu überlassen, die nur noch den Atem, aber auch die Ventilatoren, zu hören gibt, bis alles mit den Worten „Lenscover to the secret” wieder im Dunkel verschwindet. Benjamin H.D. Buchloh ordnet Colemans Werk einer „Archäologie des Spektakulären” zu und betont damit seinen gesellschaftskritischen Aspekt. Dem wäre jener andere hinzuzufügen, der darin besteht, bei den BeobachterInnen diejenigen Möglichkeiten zu reaktivieren, die durch jede analytische Beschreibung oder durch jedes repräsentative Bild ausgeschaltet werden. Sie tun das, indem sie sich dem blinden Fleck jeder Konstruktion von Wirklichkeit zuwenden und ihn als kreative Ressource für Beobachtersysteme erschließen. Kunstwerke wie „Lapsus Exposure” zeichnen sich durch ihre besondere Eignung für eine solche Form von „Provokation” aus. Und es dürfte wichtig sein, dass die Gesellschaft dieses Potential bereithält. So gesehen führen James Colemans negationsästhetische Strategien keinesfalls zu Nihilismus oder Beliebigkeit, wenn sie die BetrachterInnen in ihrer radikalen Verschiedenheit ansprechen.
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