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The Short Century
Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika 1945-94


Schon der erste Eindruck, den das selbstbewusste Design dieser Ausstellung hervorruft, demonstriert, dass dieses Projekt den gewohnten Formen von Exotismus, Nostalgie und Moralisierung mit offensiver Souveränität antwortet. Seine visuelle Oberfläche präsentiert sich als massiver multimedialer Block von Dokumenten politischer und kultureller Produktion, der geläufige ästhetische Normen und Klischees entschieden herausfordert.
Einen privilegierten Platz nehmen dabei die Werke der bildenden Künste ein, die in adäquater Weiträumigkeit präsentiert werden, während sich dokumentarische Exponate – zusammen mit Spielfilmen und anderen Film- und Videoproduktionen – stark komprimiert in die opak-weißen Panels eingelassen finden, ein Rahmen, der zwar die Dichte und Verbundenheit des Materials überzeugend artikuliert, aber nur zum Teil eine angemessene Rezeption erlaubt. Erst die Lektüre des (allerdings durchgängig englischsprachigen) Katalogs verschafft denn auch die Möglichkeit, sich über das eigentliche Konzept der Ausstellung Klarheit zu verschaffen.
Okwui Enwezor und sein Team haben dabei nichts Geringeres angestrebt, als die gesamte Epoche der Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika so umfassend zu präsentieren, dass damit der Anspruch auf eine eigenständige afrikanische Moderne begründet werden kann.
Auch wenn die Wiedergabe historisch zentraler Texte, etwa zur „Negritude” (Senghor), zum Pan-Afrikanismus oder zum afrikanischen Sozialismus zusammen mit einer ausführlichen Chronologie einen Raum einnehmen, der den Rahmen eines Ausstellungskataloges bei weitem sprengt, bleibt doch der Fokus auf kulturelle Phänomene und vor allem auf die bildende Kunst gerichtet.
Deren Eigenart, die Charakterzüge, die die verschiedenen Künstler und ihre individuellen Stile, Motive und Ansatzpunkte miteinander verbinden, lassen sich ohne den politischen und kulturellen Hintergrund, vor dem sie sich entwickelt haben, besonders in diesem Fall nicht angemessen nachvollziehen. Das Ausstellungsprojekt unternimmt also den Versuch den sozialen Kontext, den der Kontinent Afrika im angesprochenen Zeitraum darstellte, mit seiner zweifellos gegebenen Vielfalt und Dynamik als abgrenzbares Diskursfeld zu definieren, das kompakt genug ist, um als autonome Struktur lesbar zu werden.
Für die Frühphase konzentriert sich der ästhetische Zweig der vergleichenden Beobachtungen insbesondere auf die malerische Produktion des Kontinents, die von der Tatsache des rigiden Ausschlusses zeitgenössischer indigener Kreativität aus den Bildungs- und Repräsentationsinstitutionen geprägt ist.
Das hinderte eine Reihe von schwarzen Künstlern jedoch nicht daran, Bilder zu malen, die in expressiver Weise der Unterdrückung der Ausgeschlossenen und dem Wunsch nach Freiheit Ausdruck verschafften. Aufseiten der (post)kolonialen Institutionen bestimmte die Lage dagegen weitgehend der Versuch, schwarze Kunst mit vormoderner Eingeborenenkunst gleichzusetzen und den kulturellen Einfluss ästhetischer Opposition bequem auszuschalten.
In Südafrika gelangte so beispielsweise erst 1940 ein schwarzer Maler, Gerard Sekoto (1913-93), mit einem Bild in die Sammlung der Johannesburg Art Gallery und erst 1964 entschloss sich auch die South African National Gallery, nach über 90 Jahren Sammlungstätigkeit ebenfalls mit einem Bild von Sekoto die Erwerbung schwarzer zeitgenössischer Kunst einzuleiten. Ähnlich symptomatisch liegen die Dinge bei Sekotos Gefährten Ernest Mancoba (geboren 1904), der später einen Teil des Zweiten Weltkriegs in einem deutschen Internierungslager verbrachte und danach als Gründungsmitglied der Gruppe COBRA in Dänemark lebte.
Umgekehrt war mit dieser langen Ausgrenzung eine Tradition für den Kampf um aktuelle politische Inhalte initiiert, die einen afrikanischen Akademismus lange Zeit verhinderte. So gilt mit relativer Einstimmigkeit von allen MalerInnen afrikanischer Herkunft, die sich im Lauf der Zeit auch an europäischen Akademien aufgehalten haben, um ihre fehlende Ausbildung nachzuholen, dass sie sich von dem dort gepflegten „Formalismus” früher oder später entschieden abwandten.
Ein weiteres Charakteristikum gerade im Bereich der Entwicklung der Malerei leitet sich daraus ab, dass die Moderne in Europa wesentliche Impulse aus ihrer Erfahrung afrikanischer Ästhetik erhalten hat. Doch auch hieraus ließ sich aufseiten der afrikanischen Moderne kein glatter Übergang zu einem eigenen Selbstbewusstsein ableiten, da diese Entwicklung offenbar wieder einen Dialog mit den Zeitgenossen und ihren Vorstellungen ausschloss. Bei dem oben erwähnten Ernest Mancoba erwies sich das in aller Deutlichkeit darin, dass sein Name in der späteren Literatur über die Gruppe COBRA oftmals gar nicht erwähnt wird, obwohl von ihm entscheidende Impulse ausgegangen sind.
Hat man sich diese zum Teil paradoxe Situation einmal klargemacht, dann ist es allerdings spannend, die einzelnen Gemälde, die in der Ausstellung zu sehen sind, genauer daraufhin zu betrachten, wie sie mit den verschiedenen Elementen umgehen. Neben das Aufgreifen traditioneller Motive und Stile tritt generell der Versuch aktuelle Konfliktstoffe zu verarbeiten und zudem die mehr oder weniger ironische Verwendung von europäisch-modernen Adaptionen afrikanischer Tradition, die nun wiederum im Sinne von Kritik an einer akademischen und unpolitischen Moderne gebrochen oder umfunktionalisiert werden.
Für die spätere Phase liegen die Verhältnisse in dem Maß anders, als sich sozialkritische ästhetische Positionen nun auch im „Westen” zu etablieren beginnen, und insofern ein Transfer von Strategien und Diskursen auf einer andere Ebene stattfinden kann. Aus dieser Perspektive, die am Ende auch diejenige ist, mit der Enwezor die nächste Documenta bestreiten will, nehmen auch die kulturellen Produkte, die für eine klassische Moderne als kunstexternes Material gegolten hätten, eine Position ein, die in ästhetische Strategien der Grenzüberschreitung auf mehrfache Weise verwoben sind.
Unter diesem Aspekt betritt das Ausstellungsprojekt selbst die Ebene der Kontextkunst, und bietet damit den vorgestellten Positionen zugleich die Gelegenheit, ihren diesbezüglichen Spielraum freizusetzen oder zu erweitern.
So gibt etwa die Gegenüberstellung der Fotografien von David Goldblatt, der sich die Archivierung der Repressionsformen im urbanen Raum Südafrikas zur Aufgabe gemacht hat, mit den utopischen Architekturmodellen von Bodys Isek Kingelez, einen Hinweis auf die soziologischen Grundlagen einer trotz extremer Repression sich fortentwickelnden Phantasieproduktion, und stellt das kulturelle Schema von freien kreativen Subjekten einerseits, und anästhesierten Objekten von Disziplinierung andererseits, in Frage.
Ähnlich wie hier mit einer Brücke zwischen Fotografie, bildender Kunst und Architektur, werden zwischen allen Bereichen, auf die sich die Ausstellung bezieht, Verbindungen aufgewiesen. Siehe etwa William Kentridge, der von der expressiven Malerei beeinflusst zu seinem typischen Stil von Zeichnung fand und mittlerweile vorwiegend Trickfilme daraus entwickelt, der aber darüberhinaus auch enge Beziehungen zum Theater unterhält, für das er Plakate und Bühnenbilder entwirft. Neben der großen Bedeutung, die die Fotografie für die Kommunikation des politischen und kulturellen Lebens spielt, wird noch als Besonderheit die Rolle von Stoffen als Trägern von Zeichen hervorgehoben. Yinka Shonibare bezieht sich mit der Arbeit „One Hundred Years” (2000) auf den Umstand, dass die Stoffmuster einer europäischen Tuchindustrie, die nach wie vor in gigantischen Mengen nach Afrika exportiert, auch in Europa designt werden. Seine Installation mit Proben dieser Muster wiederholt also nur eine Simulation afrikanischer Folklore und provoziert die irritierende Frage nach dem, was dann wirklich afrikanisch ist. Ein paar Gegenbeispiele werden in der Ausstellung präsentiert, wo sich neben Versuchen der Erhaltung und Fortführung authentischen Kunsthandwerks auch zahlreiche Belege dafür finden, durch den Stoff, den man trägt, seine Teilnahme am aktuellen Geschehen zu artikulieren. Die Spannbreite reicht hier von Werbeaufdrucken über Zitate populärer Ikonen (Queen Elisabeth) bis hin zu einer Reihe von politischen Statements, wobei neben einem Siebdruckmuster, das die Embleme der ANC und ein Bild von Nelson Mandela zeigt, eine besonders liebevoll gestickte Arbeit dem Gedenken gefallener Helden des Befreiungskampfes gewidmet ist.

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Michael Hauffen

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