nbk Berlin, Kunstverein Hamburg11. Dezember 2010 – 30. Januar 2011
erschienen 2011 in springerin
„Freedom of Speech” nennt sich der erste Zusatz zur amerikanischen Verfassung, der das Recht auf uneingeschränkte Meinungsäußerung garantiert, eine Garantie westlicher Demokratien, die allerdings in der Praxis regelmäßig eingeschränkt zu werden pflegt. Probatestes Mittel dazu dürfte die Ausrufung eines Ausnahmezustandes sein, aber auch weniger offensichtliche Manöver, wie etwa die zunehmende inhaltliche und formale Übereinstimmung der Massenmedien, blockieren die Möglichkeiten, sich kritisch und komplex zu äußern. Wie Diskurse im Detail vorgehen, um bestimmte Sichtweisen zu begünstigen und alltägliche Erfahrungstatsachen in ihrem Sinne umzudeuten, das hat das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) aufbauend auf theoretische Ansätze Michel Foucaults seit langem zum Gegenstand seiner Forschungen gemacht. Einen entscheidende Impuls dürfte dabei auch die Freilegung des Normalismus-Dispositivs durch Jürgen Link gegeben haben. Was in „medio-politischen” Diskursen als normal gelten kann, darum geht es auch in der aktuellen Ausgrenzungs-Debatte wieder. Die Selbstverständlichkeit des Begriffs der Normalität aber, und der Vorstellungen, die damit verbunden, bzw. der Vorurteile, die damit bestätigt werden, wird dabei stillschweigend vorausgesetzt. Das D.I.S.S. bringt für die Hinterfragung derartiger Diskursformationen gute Voraussetzungen mit: Es arbeitet unabhängig, finanziert durch Drittmittel und Fördergelder seit nunmehr 20 Jahren, und hat vor allem die Rechtsextremismus- und Antisemitismusforschung vorangetrieben. Seine Studien konzentrieren sich auf die alltäglichen Prozesse sprachlicher Tradierung, wie etwa die Umformulierung rassistischer Motive aus dem christlichen Kulturraum, die sich ihren Weg bis in Massenmedien und Statements demokratischer Politiker bahnen. Und obwohl die in diesen Analysen angewandten, für den deutschen Sprachraum ungewohnten Methoden ursprünglich aus literaturwissenschaftlichen Fragestellungen entwickelt worden waren, spielten im Zusammenhang mit der detaillierten Beobachtung sprachlicher Strukturen Bildpolitiken immer schon eine wichtige Rolle. Somit ergibt auch die Entscheidung der beiden Kunstvereine Hamburg und Berlin, Arbeiten von KünstlerInnen mit den Analysen des Instituts zu einer thematischen Ausstellung zu verbinden, einen Sinn. Die Berliner Ausstellung versammelt eine Reihe bekannter Kunstpositionen von 1968 bis heute, die verschiedene Möglichkeiten demonstrieren, wie mit ideologischen Formationen umgegangen werden kann. Das Spektrum der Exponate reicht historisch von Hans Haake und Klaus Staeck bis hin zu Silke Wagner, Dan Perjovschi oder Barbara Kruger, erweitert durch eine auf Video dokumentierte Theaterperformance von Christoph Schlingensief und ein Filmportrait des Schriftstellers Rolf Dieter Brinkmann. Damit konfrontiert werden aber auch Titelblätter des Spiegel und des Erotik-Magazins Hustler sowie die Muhammed-Karikaturen des Dänen Kurt Westergaard. Vor allem letztere verorten den aktuellen Bezug des Ausstellungsprojektes im visuellen Kontext. Denn hier wie auch bei der Sarrazin-Debatte diente der Rekurs auf das Recht auf freie Meinungsäußerung als Legitmationsgrundlage für eine sprachliche Neuordnung des Grenzverlaufs zwischen einem konformen „Wir” und den auszugrenzenden Teilen der Gesellschaft. Demgegenüber mit bloß sachlichen Argumenten aufzutreten bleibt zumeist ohne Wirkung, da die Stichhaltigkeit der Zuschreibungen nicht auf realen Daten beruht, sondern auf imaginären Phantasien und Ängsten, die mithilfe von Klischees und Projektionen kanalisiert werden sollen. Insofern befinden sich auch die versammelten KünstlerInnen schon auf dem wirklichen Feld der Auseinandersetzung, wenn sie sich für Probleme, Sichtweisen oder Belange engagieren, die vom medialen Mainstream und seinem dominierenden Wahrheitsanspruch geleugnet, bekämpft oder ignoriert werden. Wenn also beispielsweise Barbara Kruger die ideologischen Botschaften durchschnittlicher Werbeslogans phantasievoll umkehrt oder Dan Perjovschi im Stil von Karikaturen die aus den Medien vertrauten Bilder einer schönen demokratischen Weltordnung als Lügen entlarvt, dann wurde auf derartige Diskurse an der entscheidenden Stelle geantwortet. Noch weiter gehen die Plakate der Gruppe Act Up oder Joe Saccos Comics zur Situation der Palästinenser. Allen gemeinsam ist die Entscheidung für eine Perspektive der Befreiung im Gegensatz zu der einer Affirmation zweifelhafter Privilegien, die zuletzt von der Kreditkrise massiv bedroht erscheinen, und für deren Sicherung jetzt geeignete Opfer gesucht werden.
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