Kunstquartier Bethanien / Studio1, Berlin12. November – 11. Dezember 2011
erschienen 2012 in springerin
Die Etablierung eines „National”-Pavillons für Roma, hat die Frage nach der Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppe für Europa erneut ins Bewusstsein gerufen. Daran schließt ein Projekt an, das Ausstellung, Symposion und ein Buch umfasst, und der anhaltend massiven Ausgrenzung mit dem Versuch eines differenzierten Portraits dieser Minderheit begegnet. Wie etwa die Arbeit von Sanja Ivecovic unterstreicht, geht es dabei nicht nur um deren Eigenarten, sondern auch um rassistische Einstellungen der Mehrheit. Die Einladung an einem inszenierten Gruppenbild teilzunehmen, in dem die Plätze ehemals Stigmatisierter mit „schwarzem Winkel”, die sich am gleichen Ort zur Deportation versammeln mussten, nun als Reenactment von kritischen Zeitgenossen eingenommen werden, verweist im Umkehrschluss auf die Bedeutung von freiwilliger Identifizierung mit der anonymen „Mehrheit” und von stillschweigendem Wegsehen als Basis von Ausgrenzungen. Für Auswege aus der kulturellen Blockade der Roma werden auch Positionen von Künstler_innen, die sich ihnen zurechnen, in dieser Ausstellung gezeigt. Daniel Baker schlägt eine Brücke von traditionellem „Gypsy”- Wohnungsschmuck zu ästhetischen Strategien der Concept Art, die er zudem noch als ausgebildeter Soziologe brillant kommentiert. Auch Delaine Le Bas bedient keine Stereotypen, sondern übertreibt widersprüchliche Fremdzuschreibungen, die sie in Form einer theatralischen Inszenierung von Alptraumvisionen mit Puppen präsentiert und dekonstruiert sie mit beißendem Humor. Tamara Grcic überlässt in einer Videoarbeit einer jungen Romni das Wort, die gegen die ihr zugewiesene Rolle als Frau revoltiert und ihr Glück als Autohändlerin sucht. Und ähnlich nähert sich auch Rosa von Praunheim dem Thema an, wenn er in der Stricherszene auf einige Roma-Jungs trifft, wo sich ihre prekäre Lebenswirklichkeit nochmals zuspitzt. Was alle diese Dokumente vereint, ist die Darstellung von Individuen, die sich in keines der geläufigen Klischees einordnen lassen, wobei die Konfliktlinien entlang derer sich ihr Profil bildet, keineswegs nur milieuspezifisch sind. Am deutlichsten dürfte das bei den Geschwistern Ceija und Karl Stroika sein, die als Kinder in Konzentrationslagern den Genozid an schätzungsweise fünfhundertausend Roma überlebten und ab Mitte der 1980er Jahre begannen, ihre Erfahrungen in Gemälden zu verarbeiten. Die Interviews mit Ceija Stojka, die von Karin Berger und Marika Schmiedt einfühlsam inszeniert wurden, vermitteln das Bild einer Person, die zwar vom Leben im Lager zutiefst geprägt ist, ihm jedoch auch ihre eigene Form des Widerstandes entgegenzusetzen vermag. Deren Intensität kann man sich kaum entziehen, was vielleicht noch mehr für ihre Malerei gilt, die einem ungebrochenen Wunsch nach Solidarität Ausdruck verleiht. Ein nicht weniger bedeutsamer Aspekt sind die institutionellen und ökonomischen Schikanen, die die Marginalisierung der Roma perpetuieren. Das Duo bankleer bezieht sich darauf, wenn es eine Romni in der Form eines Video-Clip inszeniert, das den Aufbruch ihrer Community aus einem ihr zugewiesenen Ghetto nacherzählt, und Tamara Moyzes reagiert auf die Tatsache, dass eine Miss Gypsy 2006 aus einer Reihe von Lokalen in Tschechien ausgeschlossen wurde, mit einem Zeitraffer-Video, in dem ihre dunkle Haut per Make-up aufgehellt wird.In der Fotoarbeit „Duldung Deluxe” von Nihad Nino Pusija fließen die verschiedenen Aspekte struktureller Gewalt schließlich zusammen. Die Fotos dokumentieren über einen langen Zeitraum eine Gruppe von Roma, denen die BRD während des Jugoslawien-Krieges Asyl gewährt hat, und die jetzt wieder dorthin abgeschoben werden.Christoph Wachter und Mathias Jud bieten mit ihrem Projekt „Hotel Gelem” eine Form der Partizipation an, die zumindest ein Stück weit über das tatenlose Zusehen bei einem empörenden Unrecht hinauszugehen soll: Sie bieten Interessierten an, mit Roma an einem der Orte, die ihnen zugewiesen wurden, für eine gewisse Zeit als Gast zusammenzuleben, oder ihnen Spenden für bestimmte Projekte zukommen zu lassen. Aber weder dieses Projekt noch die Ausstellung als ganze lassen sich in die Schablone eines touristischen oder konsumistischen Voyeurismus pressen, sondern machen einen Unterschied vor allem im Verhältnis zum Durchschnittsbewusstsein, in dem das Schicksal der Roma mit abwehrender Ignoranz bedacht wird.
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