Text

Stefan Römer, Inter-esse


Wenn in der Kunst das kreative Subjekt als Ausnahme von der Norm einen privilegierten Platz einnimmt und hochkulturelle Ambitionen verkörpert, täuscht das leicht darüber hinweg, dass hier nicht weniger Anpassungsleistungen im Spiel sind als anderswo, auch wenn sie komplizierter ausfallen. Um wahrgenommen zu werden, sind die Akteure auf institutionelle und kommunikative Strukturen angewiesen, deren Logik stellenweise irritiert, aber nicht wirklich ausgehebelt werden kann. Insofern spielt sich der Kampf um die Autonomie der Kunst an zwei großen Fronten (der thematischen und der formalen) ab.
Stefan Römer hat sich nun schon seit längerer Zeit dem Plan verschrieben, diese doppelte Herausforderung und ihre Paradoxien sowohl theoretisch zu reflektieren, als auch in Form einer eigenen Kunstposition anzunehmen. Da er sich als Künstler vor allem in der Tradition der Conceptual Art versteht, könnte man diese Simultaneität zweier Ansätze als theoretisch reflektierte Kunst einordnen, wie sie etwa durch Art&Language oder Andrea Fraser verwirklicht wird. Sein neuestes Buch, das um den Begriff des „Interesses” kreist, holt allerdings weit aus und verfolgt den Anspruch, eine prozessuale Werkauffassung, deren Ursprünge in der Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts ausgemacht werden können, so weit zu radikalisieren, dass sie politisches Handeln erkennt, wo die herrschenden Kunstdogmen geniale Kreativität einzelner Individuen oder authentische Wahrheit von visuellen Dokumenten unterstellen.
In verschiedenen medialen Formaten (Video, Literatur, Fotografie) richtet sich der Fokus im Buch also auf Konstellationen von mehr oder weniger ausgeprägten Bezugnahmen, die ein Feld von Spannungen bilden, das jeweils aktuell motiviert, interpretiert und reflektiert werden muss. Dabei werden in einer Dialektik von Kalkül und Leidenschaft laufend Interessen gebildet und ausgehandelt, und erst diese kommunikative Dynamik bringt die eigentlichen „Objekte” hervor, deren symbolische Bedeutungen ins Gewicht fallen. Römer findet bei verschiedenen Theoretikern fundierte Analysen relevanter Zusammenhänge, die dem Anschein freier Subjekte, die sich spontan kreativ betätigten, in Form genealogischer Herleitungen maßgeblicher Verhältnisse widersprechen. Er unterscheidet dabei hauptsächlich bildpolitische und institutionspolitische Aspekte. Die Macht von Kontrollmechanismen bis hin zu diskursiven Formationen der Bedeutungsgenerierung erweist sich dabei als äußerst vertrackt und subtil; das aber provoziert wiederum auf seiten ernstzunehmender Avantgarde den theoretischen und künstlerischen Anspruch, ihre semantischen und disziplinarischen Implikationen freizulegen und zu brechen.
Konkret wird Römer beispielsweise angesichts der musealen Inszenierung einer medienkritischen Arbeit („Ich glaubte Gefangene zu sehen” von Harun Farocki, 2001 gezeigt in der Generali Foundation in Wien), wo genau diejenigen Kontrollmechanismen, die in der Arbeit kritisch dargestellt werden, wiederum zum Einsatz kommen, um das Ausstellungspublikum zu kontrollieren. Die Überwachungskameras im Ausstellungsraum dienen unter anderem dazu, ein Fotografieverbot und die damit verbundenen Eigentumsrechte effektiv durchzusetzen. Die Darstellung beschränkt sich aber nicht auf den Aufweis der Neutralisierung einer kritischen Botschaft durch institutionelle Rahmenbedingungen, sondern der Autor positioniert sich selbst in diesem durch seine theoretische Vorarbeit entwirrten Kontext als interessiertes Subjekt, und das heißt als emotional betroffenes (leidenschaftliches) und kalkulierendes. Wenn er minutiös beschreibt, wie er die Double-Bind-Situation, in die ein aufmerksamer Betrachter geraten muss, in einer Art von Panik realisiert, über die damit einhergehenden Konsequenzen nachdenkt, und angesichts der offenbaren Ausweglosigkeit schier verzweifelt, aber diese Verzweiflung auch sucht, dann nimmt der Text literarische Züge an, beziehungsweise es wird daraus die Aufzeichnung einer Art von Widerstands-Performance im Medium Text.
Aus Agambens Vermutung, dass mit dem Aufkommen von Interessantheit als generellem Maßstab eine Entschärfung der Kunst verbunden war, zieht die Studie den Schluss, dass wirkliche Interessen in das, was als interessant gilt, wieder eingeführt werden müssen. Dies wird im Text durch den Neologismus „Inter-esse” markiert, wobei der Bindestrich in Anlehnung an Derridas Theorie der Rahmung die Forderung nach formaler Reflexivität betont. Gerade dieser letzte Punkt scheint der entscheidende zu sein, wenn man bedenkt, dass die Codierung von Kunst als „interessant” zwar einen breiten gesellschaftlichen Zuspruch ermöglicht, sie aber andererseits als Medium gesellschaftlicher Solidarität weitgehend sterilisiert hat. Während also der herrschende Betrieb die Kunst erfolgreich trivialisiert und subordiniert, wird hier der Versuch gemacht, die ideologischen Grundlagen seiner Wirkungsweise durch ein praxisnahes Gegenmodell zu ersetzen. Insofern ist der Text als ein Update zu den Vorgehensweisen anzusehen, die in der Hochphase der ersten Konzeptualisten verfasst und in Werkform gebracht wurden, und die trotz ihrer kunsthistorischen Würdigung bis heute nicht wirklich in der Gesellschaft angekommen sind.

Merve Verlag Berlin, 2014
192 S. | 15 € | ISBN 978-3-88396-333-4

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Michael Hauffen

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