De Gruyter, edition Angewandte 2024 Hg, Eva Maria Stadler und Jenni Tischer2024
erschienen 2024 in springerin
Der Verdacht ist nicht neu, dass die moderne Kunst von der Ökonomie und ihren Gesetzen gar nicht so unabhängig ist, wie gerne behauptet wird. „Artwashing”, die Beschönigung schlechter Verhältnisse, oder Kultur und Kennertum als exklusives soziales Kapital wären ein paar Beispiele solch hässlicher Flecken im schönen Schein. Diese Sammlung von Theorien und Kunstwerken legt aber den Verdacht tiefer: Wenn Abstraktion das prädestinierte Merkmal moderner Kunst ist, dann stützt sie sich auf genau jenen Modus des Zugangs zur Realität, die auch den Kapitalismus auszeichnet. Denn Letzterer weist ebenso radikal das Konkrete zugunsten eines Abstraktums zurück, nämlich des reinen Werts, der allein in der Lage ist, sich als Kapital selbst verwerten. Ist abstrakte Kunst also Bild gewordener Inbegriff sich selbst schaffenden Geldes?Der Titel der Veranstaltung, die dieser Anthologie vorausging (Abstraction & Economy), könnte daher auch als eine dezente Anspielung auf „Ornament & Verbrechen” gelesen werden. Und es wären weitere (Wort-)Paare denkbar, die den begrifflichen Raum aufspannen, um den es hier geht, beispielsweise „Moderne Kunst & Kapitalismus” oder „Utopie & Profit”. Das „Verbrechen” der Abstraktion in der Kunst, so der hier diskutierte Verdacht, besteht also neben ihrer Leugnung oder Bemäntelung kapitalistischer Ausbeutung in der Durchsetzung einer Sichtweise, oder eben auf einer intendierten Blindheit, die wesentliches Moment der kapitalistischen Ausbeutung ist. Ist diese Erhebung der Abstraktion in die höchsten geistigen und ästhetischen Höhen und die Behauptung ihrer Universalität also nicht pure Ideologie?Alfred Sohn-Rethel, auf den mehrere Beiträge Bezug nehmen, hat für den Zusammenhang von ökonomischen Strukturen und Denkformen den Begriff der Real-Abstraktion geprägt. Er steht damit in der marxistischen Theorietradition und ihrem Zweifel an der Möglichkeit, die destruktiven Implikationen einer von Verwertungsinteressen bestimmten Weltordnung ausschließlich durch rationale Methoden zu kontrollieren.Das gilt auch für die verschiedenen Varianten des Fortschrittsglaubens, der abstrakten Formprinzipien eine Schlüsselstellung im Verständnis von Lebens- und Kulturprozessen zuspricht. Das kartesische Raster (das übrigens auch demonstrativ dem Layout des Buches unterlegt wurde, weshalb die digitale Version unlesbar ist) und die Vorstellung, mit Rationalisierung und Technologie die Gesellschaft in ein Wachstum ohne Ende steuern zu können, geraten dabei bekanntlich auch in der Kunst schon einmal zum spekulativen Super-Symbol eines universellen Heilsversprechens.Allerdings kann es sich die Kritik an einer Praxis, die auf Abstraktion beruht, auch nicht zu leicht machen, da sie ja selbst ohne dieses Vermögen der Teilung und Herauslösung keine analytische Systematik aufbieten könnte. In Bezug auf die Ökonomie liegt es etwa nahe, über aktuelle Spielarten von Geld wie etwa Kryptowährung zu sprechen, darüber hinaus werden aber auch die Geschichte der sogenannten ursprünglichen Akkumulation und ihre Erscheinungsformen der Extraktion bis hin zur gewaltsamen Umverteilung gesellschaftlicher Ressourcen diskutiert. Künstler*innen thematisieren die gesetzlichen oder politischen Machtverhältnisse, die hierbei wirksam werden, wenn sie gründliche Recherchen in audio-/visuelle Darstellungen transformieren – hier vertreten von Blaise Kirschner und David Panos. Die beiden haben die Kämpfe um Rahmenbedingungen ökonomischer Macht anhand historischer Schlüsselmomente in eindrücklichen experimentellen Filmen behandelt und kommentieren ihre Arbeit kenntnisreich.Für der Frühphase der Moderne lässt sich dem Architekten Otto Wagner (in der Lesart von Patricia Grzonka) ein Zug zu fortschrittlicher Rationalisierung von oben zurechnen, während bei Wassily Kandinsky das Abstraktionsvermögen eher als eine Art spirituelles Gemeingut zelebriert wurde. Objektivierung als Verzicht auf „genialische” Attitüden verband sich bei ihm mit dem Versprechen universeller Gültigkeit. Kandinskys Schwager Alexandre Kojève unternahm es, in einer unveröffentlichten Schrift, diese Motivlage in hegelianisch-marxistischer Argumentation zu verteidigen, wie Christian Scherrer nachzeichnet. Aber bereits die Nachkriegsmoderne geriet zumeist schon sehr viel weniger tiefgründig und systemkritisch. Sabeth Buchmann stellt heraus, wie engagierte Künstler*innen von den Rändern der westlichen Hegemonie darauf mit einem Schwenk von einer Produktions- zu einer Rezeptionsästhetik geantwortet haben.Die Bewegungen der Avantgarden lassen jedenfalls erkennen, dass es sich hier um einen Kampf der (Gegen-)Aneignung und, je nachdem, auch der entsprechenden Konterkarierung bildsprachlicher Standards und diskursiver Rahmenbedingungen handelt. Das Feld der Kunst folgt den Utopien, die die Technokratie vorgibt, nicht unwidersprochen – jedenfalls zu einem Teil. Aber auch politisch links einzuordnende Strategien der Verteidigung konkreter Bedürfnisse oder kritischer Wahrnehmung werden immer wieder instrumentalisiert. Das Argument, Teil eines Spiels zu sein, das der Kunst kompensatorische oder idealisierende Funktionen zuschreibt, lässt sich auch mit einer noch so radikalen Geste nicht abtun.Dass es sich bei hegemonialen Dispositiven wie dem des dauerhaften Wachstums um Mythen handelt, betont der Untertitel der Textsammlung. Als Beispiel fungiert hier Marcel Broodthaers, dem es gelungen ist, prominente Embleme der Macht gegen den Strich zu bürsten und ihren kapitalkonformen Fetischcharakter zu blamieren – eingeschlossen seine eigene Rolle als Künstler, der Geld braucht und sich deshalb auf nicht ganz saubere Geschäfte mit Galeristen einlässt. Kapitalismuskritische Erklärungsmuster können übrigens auch zur schlechten Gewohnheit werden, wie Leigh Claire La Berge anhand trendiger Behauptungen von angeblich ständig zunehmender Abstraktion anmahnt. Auch wenn in der Übertreibung Wahrheit stecken kann, drohen Diskurse bei anhaltender Wiederholung paranoid, zwanghaft oder stupid zu werden, während die Chancen auf eine differenzierte Präzision der Argumente ebenso schwinden wie die auf eine subversive Treffsicherheit der ästhetischen Praxis.Eva Maria Stadler & Jenni Tischer (Hg.)Abstraction & Economy – Myths of GrowthBerlin (De Gruyter) 2024357 S., EUR 45,–
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