Galerie Tanit, München10.9. - 15.10.1994
erschienen 1994 in nicht erschienen
Seit Beginn der Aids-Epoche hat die Gruppe General Idea auf die neue Herausforderung reagiert, ohne durch demonstrative Betroffenheit zu ermüden. Vor allem haben es die 3 kanadischen Künstler verstanden in einer anregenden Weise zu beleuchten, wie die sublimen Mechanismen der Beschönigung von uns tyrannisierender Normalität, die im medienwirksamen Eifer der Mediziner, Politiker und Journalisten repräsentativ bestätigt zu werden pflegt, auch in der Kunst wirksam sind. Prägnant und provokativ brachten sie den Begriff des Placebo ins Zentrum der Aufmerksamkeit, stellt er doch einen Hinweis auf den langfristigen Lähmungseffekt dar, den die affirmativ-ästhetische Verarbeitung von sozialen Konflikten zumeist ausübt. Ein Placebo ist ein Ding, das sich in gefälliger Form darbietet, und den Erwartungen seiner Adressaten auch dadurch entgegenkommt, daß es sie nicht hinterfragt, sondern verspricht, sie reibungslos zu erfüllen. Wie man weiß, hilft es manchmal, obwohl es eigentlich nichts ist.So gut wie nichts ist auch in der Ausstellung in der Galerie Tanit zu sehen: Weiße Quadrate, die an weißen Wänden hängen. Also wieder einmal nur die Leere einer schönen, sauberen Welt, in der alle Bezüge zur Wirklichkeit isolierend ausgeschaltet wurden? Diesmal nicht, denn bei genauerem Hinsehen fällt auf, daß es sich um eine Übermalung handelt. Schwach schimmert durch die weiße Farbe nämlich noch eine Reihe der von General Idea bereits bekannten Motive durch, die einen gemeinsamen Nenner haben: sie sind infiziert, „infe©ted”. Die normale Grundfarbe der modernen Raumgestaltung gewinnt hierdurch eine ungewöhnliche Doppelwertigkeit. Einerseits, und noch zusätzlich angeregt durch eine Art Bandagierung eines kleinen „Placebo”-Reliefs, denkt man unwillkürlich an Bettlaken, Verbandsmaterial, Bahrtuch: Gegenstände also, die mit der Sorge um bedrohte oder leidende Vitalität zu tun haben. Andererseits, wenn die Farbe nur wenig deckender aufgetragen wäre, könnte man von den darunterliegenden Bildern und ihren präzisen Anspielungen gar nichts mehr ahnen. Sie wären dann spurlos verschwunden, so daß das dominierende Weiß auch die nahe Gefahr der völligen Verblendung, zwar nicht beschwört, aber bedrängend nahebringt. Um sich davor zu retten, wird man an dieser Stelle die zugedeckten bzw. verschwindenden Motive zu rekonstruieren suchen. Auf Tapeten und Bildern nahezu allgegenwärtig ist da jenes ehemals das Wort „LOVE” buchstabierende Bild von Robert Indiana erkennbar, das – nach seiner „Infizierung” zu „AIDS” geworden – als repräsentatives Emblem für unsere Epoche gelten kann. Wenngleich etwas zurückhaltender auftretend, scheinen auch die (infizierten) cœurs volants eines Duchamps einmal den Optimismus der LOVE-Geration geteilt zu haben, allerdings enthalten sie eine deutliche Spur jener Ironie, die sich einer „großen Zeit” nicht mehr ungebrochen verschreibt und dem Sog der Verführung leichtgläubiger Massen mit anspruchsvollem Witz auszuweichen hofft. Miss General Idea – als Phantomgestalt die Platzhalterin der charismatischen Künstlerpersönlichkeit – hat es niemals unternommen, symbolisch gegen eine schlechte Welt zu revoltieren und dadurch den Blick von ihrem Metier abzulenken. Vielmehr versucht sie umgekehrt das relative Vakuum einer rein formalen Ästhetik bis zu dem Punkt zu steigern, wo es beängstigend, und die darin versammelten Kultobjekte lächerlich belanglos werden. Das Gute dabei ist: wenn die Betrachterin bis hierhin der bildnerischen Logik gefolgt ist, fällt die Aufmerksamkeit – aber inzwischen um so manche Dimension des Subtilen bereichert – auf sie selbst zurück, und setzt vom immensen Kunstangebot permanent überblendete, subjektive Potentiale frei. Vielleicht sieht das dann so aus, daß die Sensibilität wächst für jene Momente, in denen erfolgreiche Trauerarbeit möglich ist. Vielleicht reicht es auch weiter, zu einer angstfreien Solidarität mit den Opfern des Aids-Virus, oder zu einer Kritik an den strukturellen Ursachen ihrer Isolation.
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