Fink Verlag1998
erschienen 1998 in KUNSTFORUM
Bereits Nietzsche legte in die traditionelle Vorstellung von Maschinen als Objekten, die dem Menschen als reine Mittel zum Zweck dienten, den Keim der Irritation, als er sich selbst als Maschine bezeichnete, „aber eine Maschine, die auch zerspringen kann.” Falls das destruktive Moment dabei an etwas denken läßt, das nicht nur Schrecken, sondern auch Befreiung bedeutet, ist man dem Maschinenbegriff, den Deleuze/Guattari vor 30 Jahren in ihrem „Anti-Ödipus” entwickelt haben, schon sehr nahe. Diese haben nämlich versucht, frühkindliche Prozesse und ihr Fortleben im erwachsenen Unbewußten als „Wunschmaschinen” zu beschreiben. Es geht dabei nicht immer so lustig zu wie in einem Spielzeugpark, aber eine wesentliche Intention dieser provokativen Theorie dürfte auch der Wunsch gewesen sein, die moderne Welt mit ihren Vorstellungen von einem kontrollierbaren Glück zu kritisieren, ohne dabei zum zwanghaften Neinsager zu werden.Ein paralleles Problem mit einer ebenfalls am Kriterium der Kontrollierbarkeit orientierten Wissenschaft löst sich hier in der Form, daß ein starkes Interesse an literarischen und anderen ästhetischen Prozessen manifest wird, bei denen es nicht um vernünftige Reduktion, sondern um eine Struktur vielschichtiger Verbindungen und Durchdringungen geht, die aus den hemmenden Schemen von Rationalität und Normalität herausführen soll. Die Gefahr bei solcher Art von Philosophie dürfte sein, daß damit einer „wilden” Spontaneität zugesprochen zu werden scheint, die regelmäßig über ein blindes Wiederholen durchschnittlicher Klischees von Freiheit und Grenzüberschreitung nicht hinauskommt. Wie provokativ der Begriff der „Wunschmaschinen” auch immer gemeint war – er war vor allem gegen die erstarrten Strukturen innerhalb der bereits kanonisierten Psychoanalyse gerichtet – aus reinem Leichtsinn war er sicher nicht geboren worden. Beweise dazu liegen seit geraumer Zeit auch im deutschsprachigen Raum lesbar vor. Vor allem Gilles Deleuze konnte als Philosoph mit Substanz geoutet werden, und auch auf Jaques Lacan fiel dabei wieder Licht. Henning Schmidgen geht nun vor allem dem Denken von Felix Guattari nach, der bisher eher im Hintergrund gestanden hatte, und von dessen späteren Schriften man hierzulande noch kaum etwas gehört hat. Wie sich dabei zeigt, war sein Beitrag zum Problem der Maschinen des Unbewußten nicht nur originell, sondern auch fundiert. Guattari arbeitete als Psychoanalytiker und er scheint sich dem Übergewicht humanistischer Mythen, vor allem dem des Ödipus, von Anfang an verweigert zu haben. Als er auf die Idee kam, ein Tonbandgerät im Rahmen analytischer Sitzungen zu benützen, witterte er darin die Chance, die Wirklichkeit moderner gesellschaftlicher Lebenszusammenhänge mit ihren tiefgreifenden technoiden Strukturen viel adäquater zu erfassen. Und es entspinnt sich eine Theorie, die Kapitalismus und Schizophrenie in einen direkten Zusammenhang stellt, wobei sie Potentiale der Befreiung aus dem Bereich außerhalb der optimal angepaßten Psyche ernstnimmt. Heute sind Auffassungen von einem maschinellen Unterbau des menschlichen Bewußtseins gar keine Besonderheit mehr. Vor allem aus der Gegend der Systemtheorie Luhmannscher Prägung oder des „Radikalen Konstruktivismus” ist der Gedanke vertraut, das neurologische Geschehen im Gehirn als etwas zu begreifen, das im Prinzip mit Computern nachgebaut werden könnte. Aber auch auf anderen Ebenen, wo Guattari von Kopplungen und Entkopplungen spricht, sei es bei der Mutter/Kind- Maschine (Saugmund/Brust) oder bei sozialen Maschinen, man denke nur an die Sprache, gibt es auffällige Parallelen. So verschieden sind die Ausgangspositionen der verschiedenen Master-Konzepte wie Systemtheorie, Strukturalismus oder Maschinenästhetik gar nicht. Die wesentlichere Frage dürfte vielmehr sein, wie weit sich einzelne Forscher die Mühe machen, auch in unansehnlichere Themengebiete vorzudringen, deren Studium womöglich sogar manche für sicher gehaltene Wissensbastion erschüttert. Der Suche nach neuen Weltformeln, oder wenn das nicht zu haben ist, wenigstens von Ergebnissen, die die potentiellen industriellen oder staatlichen Förderer nicht strapazieren, verführt dazu verständlicherweise nicht. In Guattari bringt uns Schmidgen jedenfalls einen Theoretiker nahe, der solche Rücksichten einschließlich entsprechender Ressentiments anderen überläßt. Und so ist auch der Begriff der Affirmation, den er im Sinne Nietzsches gebraucht, derjenige entschiedener Lebensbejahung, die vor Schizophrenie, Tod oder subversiver Kunst nicht ausweichen muß. Unter solchen Voraussetzungen über Maschinen nachzudenken ist allemal erregend. Henning Schmidgen, Das Unbewußte der Maschinen. Konzeptionen des Psychischen bei Guattari, Deleuze und Lacan. Fink Verlag, München, 238 Seiten. DM 38,-.
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