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Boris Groys Schriften


Ist die Autonomie der Kunst zu retten? Oder ist etwa gar die Forderung nach einem separaten Bereich ästhetischer Praxis unangemessen, weil sich ihr Sonderstatus zunehmend als kompensatorische Beschönigung lebensfeindlicher Zweckrationalität erweist? Wo und in welcher Form ist also Kunst noch wert, unterstützt zu werden?
Auch für die KommentatorInnen von Kunst sind das dringliche Fragen. Vor allem postmoderne Beliebigkeit und der Vormarsch von Marketing und PR im Kunstgeschäft verstärken den Verdacht, daß Texte über Kunst in ein böses Spiel verwickelt sind. Boris Groys, der im vorliegenden Band über sein Handwerk nachdenkt, möchte angesichts dieser trüben Aussichten jedoch nicht resignieren. Er solidarisiert sich zwar mit der skeptischen Behauptung, daß das meiste, was an Kunst-Kommentaren geschrieben wird, die ursprüngliche Erfahrung und die eigentliche Intention der Kunst bestenfalls verziert, wenn nicht behindert; aber diese Auffassung sprengt natürlich nicht den Rahmen der Kunstkritik. Seine Formel dafür lautet schlicht, daß man das Kunstwerk „in seiner Nacktheit” wieder zurückgewinnen möchte. Solche Art von Bescheidenheit ist nicht gerade neu. Sie signalisiert einen Verzicht auf diskursive Privilegien, der einer Vertrauensbasis als Voraussetzung dienen soll.
Ist es vielleicht einfach nur der herrschende Mangel an derart ehrlicher Direktheit gegenüber der Kunst, der eine grundlegende Skepsis gegenüber allem Geschriebenen immer weiter verstärkt? Auch Groys glaubt das nicht. Denn die TeilnehmerInnen am ästhetischen Diskurs sind in der Regel mit allen Wassern gewaschen. Sobald eine Form der Selbstdarstellung erfolgreich überzeugt, wird sie von anderen kopiert, und skrupellos angewendet, um die naiveren Beobachter zu überrumpeln. KunstkommentatorInnen müssen also schon ein paar gute Einfälle haben, und in die Logik des ästhetischen Bereichs tiefer eingedrungen sein, um bestehen zu können.
Die Kunst des Diskurses spielt also keine unwesentliche Rolle. Und wer mit ihr hauptberuflich befaßt ist, lernt ihre Tricks kennen. Ist nicht auch vieles von dem, womit sich KünstlerInnen den Anschein von Wichtigkeit geben nur Finesse? Nicht selten lassen sich blendende Selbstinszenierungen als rhetorisches Manöver entlarven. Die Sensibilität des Kommentators für derlei Vorgangsweisen, geht natürlich ihrerseits ebenfalls darauf zurück, daß er sich zugunsten seiner Argumentation solcher Methoden zu bedienen weiß.
Eine streng nüchterne und objektive Analyse des Geschehens würde vor allem niemand lesen. Auch wenn die AdressatInnen von Kunstkommentaren keine festumrissene Gruppe sind, wollen sie doch in der Regel Orientierungen, die sowohl schnell zu vermitteln als auch komplex sind. Vielleicht liegt hierin der vorwiegende Grund dafür, daß Groys beinahe unmerklich ein nostalgisches Bild vom Umgang mit Kunstwerken heraufbeschwört, das an Gemeinplätze des neunzehnten Jahrhunderts erinnert. Vor allem wird es getragen von einer moralischen Kritik an der Überforderung des Ästhetischen, das ohne seine intime Abgeschiedenheit dem Traum vom Reich der Phantasie nicht mehr gerecht zu werden vermag.
Wenn es sich hierbei also um konservatives Ressentiment handelt, sind die Texte doch lebendig und geistreich geschrieben. So inszeniert der Autor eine Art Tragikomödie, in der er sich die Rolle eines gewitzten Anwalts zurechtgelegt hat. Als solcher tritt er dafür ein, daß die echten Freunde der Kunst, die in ihr aufgehobenen Möglichkeiten ungestört genießen können. Den dafür benötigten Sündenbock muß ein immer wieder auftauchender anonymer "sozialer Kritiker" spielen. Ihn zeichnet die vernichtende Eigenschaft aus, daß sein "Diskurs modisch ist – oder zumindest bis vor kurzem war." Die Figur neigt vor allem dazu, Privilegien zu beanspruchen, die legitimerweise nur der von ihr doch kritisierten Kunst selbst zukommen. Manchmal gerät sogar die künstlerische Avantgarde in den analogen Verdacht pathologischer Überzogenheit von Ansprüchen. Demgegenüber profiliert sich der Groys selbst als jemanden, der erwachsen genug ist, einzusehen, daß die Kultur der Moderne domestiziert werden muß.
Solche groben Vereinfachungen sind zwar manchmal amüsant, müssen aber, wenn sie mit derart hohem Bildungsniveau vorgetragen werden, als zynisch eingestuft werden. Wenn es einmal Ansprüche auf Souveränität gegeben haben sollte, werden sie damit unweigerlich ersetzt durch elitäre Exklusivität, die sich das nötige Wohlwollen von seiten der Außenwelt durch geschickte Anpassung verdienen muß. Kein Wunder, wenn unter diesen Voraussetzungen die Gesellschaft nur noch als Quelle unangenehmer Forderungen erscheint.

Boris Groys – Kunst-Kommentare, Passagen-Verlag Wien, 1997, DM 39,80.

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Michael Hauffen

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